Besser online als nie oder? Wir haben noch als "Altlast" von Yaa Gyasi "Heimkehren" und den spontan erwählten Roman "Ich bleibe hier" von Marco Balzano. Bitte, wählt einen Termin bis zum Dienstag, 9. Februar.
Ein paar Worte zu Balzano: Er ist Lehrer für Literatur an einem Mailänder Gymnasium und die Hauptperson und Ich-Erzählerin in "Ich bleibe hier" ist eine Lehrerin. Immer schön, sich mal mit etwas zu beschäftigen, das einem eine neue Welt eröffnet. Aber genug geblödelt!
Balzano erzählt die Geschichte eines Südtiroler Dorfes über ein Jahrhundert hinweg. "In Italien wurde das Buch übrigens von den Südtirolern als Zeichen der Versöhnung gesehen, indem ein Mailänder über diese offene Wunde im Vinschgau schreibt", informiert der mdr und attestiert dem Autor, "eine doch sehr klare und, nunja, zu Herzen gehende Geschichte" geschrieben zu haben.
Eine "Erzählung über Verluste, über den Verlust eines Kindes, eines Dorfes, einer Heimat, einer regionalen Identität. Es ist zugleich aber auch eine Erzählung über den Widerstand", fasst deutschlandfunkkultur zusammen. "Marco Balzano verzichtet auf stilistische und literarische Effekte. Er verfasst die Geschichte von Graun im ruhigen Ton einer Chronik und in einfacher Sprache."
"Es ist durchaus kunstvoll, wie Balzano das Zeitgeschehen mit dem Familiendrama verwebt", lobt die Süddeutsche, wäre aber nicht die Süddeutsche, wenn sie nicht auch ein bisschen quengeln könnte: "So ganz kann sich der Autor nicht entscheiden, was ihm wichtiger ist: die turbulente Geschichte Südtirols in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder die Geschichte einer jungen Frau, die lernen muss, mit immer neuen Verlusten zu leben." Naja, das geht ja noch. Übrigens hält der Autor des Artikels Balzanos Roman "Das Leben wartet nicht" für "noch bewegender".
Eine zehnminütige Hörprobe aus dem Hörbuch gibt es bei Diogenes
Die Südtirol-Problematik steht auch im Mittelpunkt von Francesca Melandris Roman "Eva schläft". Er "umspannt die Jahre 1919 bis 1992 und schildert das Familiendrama um Gerda, drittes Kind eines Optanten, Schwester eines Terroristen und eine Ausgestoßene während einer explosiven, kämpferischen Zeit, in der man ein Volk systematisch verdrängen bzw. vereinnahmen wollte". Diese Rezension auf buecherrezensionen.org verweist auf einen weiteren Südtirol-Roman - "Wundränder" von Sepp Mall. "In 42 Kapitelchen beschreibt Mall das Schicksal zweier Familien in den ereignisreichen Siebziger Jahren."
Nach den B-Movies jetzt die C-Literatur. Das hat uns gerade noch gefehlt. Man hört ja sonst nicht viel zu dem Thema. Deshalb hier im Tagesspiegel ein Überblick zum "Wettlauf um den Corona-Bestseller". Unter den Autor*innen Paolo Giordano, der damit Lucky Luke übergeholt haben dürfte, weil er schneller schreibt, als der schießt. Und der Tagesspiegel liefert auch gleich eine Rezension zu Giordanos "Buch", das man wohl unbedingt nicht gelesen haben sollte. Der Herr verschone uns vor Pest, Cholera und C-Literatur!
Präsenzveranstaltungen gibt es nicht, aber für schlappe 5 Euro kann man im Programm des Literaturhauses München Streaming-Vorträge und -Lesungen buchen.
Ein paar Hinweise zu Literatursendungen im Fernsehen. Sieht man sich die Sendezeiten an, wird die Wertschätzung der Literatur klar. Lesen gefährdet Ihre Glotz-Zeit!
Yvonne, die Unermüdliche, hat uns auf eine veritable Sofa-Landschaft aufmerksam gemacht. Auf der Belletristik-Couch liegt neben Aschenbecher, Zeitung und Chipsresten, Empfehlungen und Rezensionen auch eine Short-List zur Wahl des "Buch des Jahres". Titelauswahl und Entscheidung über Sieger oder Siegerin (am 4.2.) werden anscheinend ähnlich transparent gehandhabt wie die Entscheidung über den Austragungsort einer Fußball-WM.
Neben diesem Treff aller Ottomanen-Liebhaber*innen gibt es noch eine Krimi-Couch, ebenfalls mit Buch-des-Jahres-Körung, und eine Histo-Couch mit ... Na? Na? Genau! Buch-des-Jahres-Suche! Insgesamt aber ganz anregende und informative Seiten für west-östliche Diwanes*innen.
Die Jüngeren wissen vielleicht gar nicht mehr, was das Weiße auf dem Foto ist. Das ist Schnee! Und der rote Stern... naja, lassen wir das.
Allen schöne Ferien und ein gutes Jahr 2021, in dem sich der Lesezirkel hoffentlich bald wieder treffen kann!
Schon das Cover (hier mit Autorinnen-Foto beim deutschlandfunk) ist ein Vergnügen bei Helena Adlers nur 176 Seiten schmalem Roman "Die Infantin trägt den Scheitel links". Und so schräg wie das Cover und der Titel ist die Kurzbiographie der Autorin auf der Verlagsseite (Jung und Jung): "geboren 1983 in Oberndorf bei Salzburg in einem Opel Kadett. Lebt als Autorin und Künstlerin in der Nähe von Salzburg. Studium der Malerei am Mozarteum sowie Psychologie und Philosophie an der Universität Salzburg." 2020 findet sie sich auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.
Adler erzählt von einer Kindheit und Jugend auf einem abgeranzten österreichischen Bauernhof. "Die Heimat als Hölle", raunt die Zeit und stellt den Vergleich an mit den großen Bösen des Landes - Thomas Bernhard, Josef Winkler, Elfriede Jelinek, Helmut Qualtinger. "Ihre Sprache hat scharfe Ecken und spitze Kanten und ist so bissig, dass man das Buch immer wieder aus der Hand legen muss", zärtelt die Rezensentin.
Der Standard betätigt sich investigativ und bekommt heraus, dass Adler "tatsächlich viel real Erlebtes in ihr Schreiben einfließen lässt". Ein Video findet sich auf 3sat, eine wunderbare Gelegenheit, sein Österreichisch mal wieder etwas aufzupolieren. Den B1-Kurs kann man dann mit einem 10-minütigen Interview beim WDR in Angriff nehmen.
Wir haben es hier mit einer "sehr speziellen, zumindest interessant gebrochenen Dorfbiografie zu tun", fällt der SZ auf. Scharf beobachtet, denn welche ungebrochene Dorfbiographie würde die Kapitel-Überschriften den Titeln der Gemälde entnehmen, die die Autorin geprägt haben, darunter Goyas "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer". Tu felix Austria, scribe! Boah!
Den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2020, immerhin mit feschen 30.000 Euro dotiert, konnte Christine Wunnicke für ihren Roman „Die Dame mit der bemalten Hand“ einheimsen. Sie ist keine Unbekannte, stand 2020 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde im selben Jahr mit dem Münchner Literaturpreis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet.
Die Jury begründet ihre Entscheidung unter anderem damit:
„Christine Wunnicke hat über Jahrzehnte hinweg ein eigenständiges Werk geschaffen, in dem sich die Gattungen mischen. Gelehrte Groteske. Historischer Miniaturroman. Wissenschaftssatire. Sie beherrscht die Wissensjargons verschiedener Zeiten, mythologische und religiöse Idiomatiken und poetische Aufschwünge ebenso wie deren Parodien. Immer arbeitet sie auf der Grenze zwischen beiden. Am Kipppunkt von Wahn in Wissen und umgekehrt; von Bericht und Karikatur eines Berichts."
Im Jahr 1764 verschlägt es einen deutschen Forschungsreisenden und einen persischen Astrolabienbauer nach Indien. Mehr zum Inhalt erfährt man auf deutschlandfunk kultur, das seine Schwierigkeiten damit hat, diesen "im besten Sinne sonderbaren und offenen Roman" einem Genre zuzuordnen. "Wir können nie genug erzählt bekommen, aber zwei Bücher von Christine Wunnicke sind schon mal ein Festschmaus. Nun bitte noch als Digestif den Buchpreis für das eine davon", fordert die FAZ und hat Erfolg mit ihrer Forderung. Das erwähnte zweite Buch ist übrigens Wunnickes wiederaufgelegte Novelle "Nagasaki, ca. 1642".
Den Bayerischen Buchpreis 2020 im Bereich Belletristik gewann Ulrike Draesner mit dem Roman "Schwitters", der Sachbuch-Preis geht an Jens Malte Fischer mit "Karl Kraus. Der Widersprecher" und der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten an Harald Lesch. Monika Helfer wurde für "Die Bagage" der Publikumspreis verliehen.
"Draesners 'Schwitters' lebt und atmet", urteilt Carsten Hueck in der Kritik von Deutschlandfunk Kultur. Voll des Lobes ist WDR3, das aber auch warnt: "Energie verlangen die knapp 500 Seiten freilich auch ihren Lesern ab."
Viel zu Schwitters findet man auf den Seiten der Schwitters-Stiftung. Ein Fragment aus der Ursonate, dargeboten vom Meister selbst, kann man sich auf Youtube anhören, wo es auch die Gesamtkomposition mit Text und vorgetragen von seinem Sohn Ernst gibt. In diesem Sinne: dada!
"Imponierend" findet der br die 1000-Seiten-Biographie "Karl Kraus. Der Widersprecher" des Kulturwissenschaftlers Jens Malte Fischer. Sehr ausführlich widmet sich Karl Kraus der Deutschlandfunk.
Monika Helfer gelinge mit ihrer Familiengeschichte "nicht nur das Porträt einer archaischen Bergwelt, sondern auch ein Blick auf weibliche Lebensentwürfe über eine Zeitraum von mehr als hundert Jahren hinweg", urteilt die faz.
Der Spiegel hebt hervor: "Man kann schon jetzt sagen, dass der schmale Roman eines der schönsten Bücher dieses Frühjahrs ist." Und die taz lobt ähnlich: "Es ist erstaunlich, welch einen Kosmos an komplexen Figuren Helfer auf diesen gerade einmal 160 Seiten aufzuspannen gelingt."
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