Donnerstag, 17. Dezember 2020
Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2021

Die Jüngeren wissen vielleicht gar nicht mehr, was das Weiße auf dem Foto ist. Das ist Schnee! Und der rote Stern... naja, lassen wir das.

Foto: K. Meyer 2005

Allen schöne Ferien und ein gutes Jahr 2021, in dem sich der Lesezirkel hoffentlich bald wieder treffen kann!





Freitag, 4. Dezember 2020
Tipp von Olivia

Schon das Cover (hier mit Autorinnen-Foto beim deutschlandfunk) ist ein Vergnügen bei Helena Adlers nur 176 Seiten schmalem Roman "Die Infantin trägt den Scheitel links". Und so schräg wie das Cover und der Titel ist die Kurzbiographie der Autorin auf der Verlagsseite (Jung und Jung): "geboren 1983 in Oberndorf bei Salzburg in einem Opel Kadett. Lebt als Autorin und Künstlerin in der Nähe von Salzburg. Studium der Malerei am Mozarteum sowie Psychologie und Philosophie an der Universität Salzburg." 2020 findet sie sich auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.

Adler erzählt von einer Kindheit und Jugend auf einem abgeranzten österreichischen Bauernhof. "Die Heimat als Hölle", raunt die Zeit und stellt den Vergleich an mit den großen Bösen des Landes - Thomas Bernhard, Josef Winkler, Elfriede Jelinek, Helmut Qualtinger. "Ihre Sprache hat scharfe Ecken und spitze Kanten und ist so bissig, dass man das Buch immer wieder aus der Hand legen muss", zärtelt die Rezensentin.

Der Standard betätigt sich investigativ und bekommt heraus, dass Adler "tatsächlich viel real Erlebtes in ihr Schreiben einfließen lässt". Ein Video findet sich auf 3sat, eine wunderbare Gelegenheit, sein Österreichisch mal wieder etwas aufzupolieren. Den B1-Kurs kann man dann mit einem 10-minütigen Interview beim WDR in Angriff nehmen.

Public Domain Mark 1.0

Wir haben es hier mit einer "sehr speziellen, zumindest interessant gebrochenen Dorfbiografie zu tun", fällt der SZ auf. Scharf beobachtet, denn welche ungebrochene Dorfbiographie würde die Kapitel-Überschriften den Titeln der Gemälde entnehmen, die die Autorin geprägt haben, darunter Goyas "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer". Tu felix Austria, scribe! Boah!





Wilhelm Raabe-Literaturpreis

Den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2020, immerhin mit feschen 30.000 Euro dotiert, konnte Christine Wunnicke für ihren Roman „Die Dame mit der bemalten Hand“ einheimsen. Sie ist keine Unbekannte, stand 2020 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde im selben Jahr mit dem Münchner Literaturpreis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet.

Mit Genehmigung des Verlags.

Die Jury begründet ihre Entscheidung unter anderem damit:

„Christine Wunnicke hat über Jahrzehnte hinweg ein eigenständiges Werk geschaffen, in dem sich die Gattungen mischen. Gelehrte Groteske. Historischer Miniaturroman. Wissenschaftssatire. Sie beherrscht die Wissensjargons verschiedener Zeiten, mythologische und religiöse Idiomatiken und poetische Aufschwünge ebenso wie deren Parodien. Immer arbeitet sie auf der Grenze zwischen beiden. Am Kipppunkt von Wahn in Wissen und umgekehrt; von Bericht und Karikatur eines Berichts."

Im Jahr 1764 verschlägt es einen deutschen Forschungsreisenden und einen persischen Astrolabienbauer nach Indien. Mehr zum Inhalt erfährt man auf deutschlandfunk kultur, das seine Schwierigkeiten damit hat, diesen "im besten Sinne sonderbaren und offenen Roman" einem Genre zuzuordnen. "Wir können nie genug erzählt bekommen, aber zwei Bücher von Christine Wunnicke sind schon mal ein Festschmaus. Nun bitte noch als Digestif den Buchpreis für das eine davon", fordert die FAZ und hat Erfolg mit ihrer Forderung. Das erwähnte zweite Buch ist übrigens Wunnickes wiederaufgelegte Novelle "Nagasaki, ca. 1642".





Freitag, 20. November 2020
Bayerischer Buchpreis 2020

Den Bayerischen Buchpreis 2020 im Bereich Belletristik gewann Ulrike Draesner mit dem Roman "Schwitters", der Sachbuch-Preis geht an Jens Malte Fischer mit "Karl Kraus. Der Widersprecher" und der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten an Harald Lesch. Monika Helfer wurde für "Die Bagage" der Publikumspreis verliehen.

Mit Genehmigung des Verlags.

"Draesners 'Schwitters' lebt und atmet", urteilt Carsten Hueck in der Kritik von Deutschlandfunk Kultur. Voll des Lobes ist WDR3, das aber auch warnt: "Energie verlangen die knapp 500 Seiten freilich auch ihren Lesern ab."

Viel zu Schwitters findet man auf den Seiten der Schwitters-Stiftung. Ein Fragment aus der Ursonate, dargeboten vom Meister selbst, kann man sich auf Youtube anhören, wo es auch die Gesamtkomposition mit Text und vorgetragen von seinem Sohn Ernst gibt. In diesem Sinne: dada!

"Imponierend" findet der br die 1000-Seiten-Biographie "Karl Kraus. Der Widersprecher" des Kulturwissenschaftlers Jens Malte Fischer. Sehr ausführlich widmet sich Karl Kraus der Deutschlandfunk.

Mit Genehmigung des Verlags.

Monika Helfer gelinge mit ihrer Familiengeschichte "nicht nur das Porträt einer archaischen Bergwelt, sondern auch ein Blick auf weibliche Lebensentwürfe über eine Zeitraum von mehr als hundert Jahren hinweg", urteilt die faz.

Mit Genehmigung des Verlags.

Der Spiegel hebt hervor: "Man kann schon jetzt sagen, dass der schmale Roman eines der schönsten Bücher dieses Frühjahrs ist." Und die taz lobt ähnlich: "Es ist erstaunlich, welch einen Kosmos an komplexen Figuren Helfer auf diesen gerade einmal 160 Seiten aufzuspannen gelingt."





Samstag, 14. November 2020
Tipp von Miri: Offene See

Miri lenkt die Aufmerksamkeit auf Benjamin Myers "Offene See", das den Preis der unabhängigen Buchhandlungen gewonnen hat. Außerdem nominiert waren

  • Marco Balzano. Ich bleibe hier.
  • Charlotte McConaghy. Zugvögel.
  • Jasmin Schreiber. Marianengraben.
  • Iris Wolff. Die Unschärfe der Welt.

Bei dem Roman scheint es sich um einen echt geheimen Geheimtipp zu handeln - man findet nicht allzu viel dazu. Den Deutschlandfunk stören die "lyrischen Überambitionen", aber er betont, was von Myers "wohlig nostalgisch angehauchter Coming-of-Age-Geschichte in Erinnerung bleibt, ist die durchaus geschickt hergestellte Atmosphäre eines Sommers, die Stimmung der großen und kleinen Umbrüche".

Mit Genehmigung des Verlags.

Eine Besprechung zum Hören gibt es bei radio1. Mein Favorit: der kurze Überblick auf buch-haltung, der mit dem schönen Satz beginnt "Wohl jeder kennt diese Frage nach der Schule: was soll ich danach machen?" Tja, meine kleinen Freunde, da kann ich nur mit Sepp Herberger antworten: Nach der Schule ist vor der Schule! Aber zurück zum Thema. Der Roman wird warm gelobt als "poetisches, romantisches und naturverliebtes Buch".





Dienstag, 3. November 2020
Münchner Bücherschau im Netz
Foto mit Erlaubnis der Veranstalter / CC BY-SA

Danke an Doris für den Tipp, dass die Münchner Bücherschau im Netz zu finden ist. Interessierte sollten die Seite im Auge behalten. Vieles ist noch nicht benutzbar. Möglich ist bis 15.11. eine Teilnahme an der Verleihung des Publikumspreises im Rahmen des Bayerischen Buchpreises 2020. Nominiert sind fünf Werke: "Bretonische Spezialitäten" von Jean-Luc Bannalec, "Unsere Welt neu denken" von Maja Göpel, Monika Helfers "Die Bagage", "Trotzdem" von Ferdinand von Schirach und Lutz Seiler mit "Stern 111". Aber Achtung! Es gibt einen fast unüberwindlichen Spamschutz, bei dem so elaborierte Aufgaben wie 7-3=? gelöst werden müssen. Nix für Germanist*innen also.





Donnerstag, 22. Oktober 2020
Guntram Vesper 1941 - 2020

Guntram Vesper ist gestorben. 2016 durfte er eine Wiederentdeckung erleben, als er für seinen 1000-seitigen Roman "Frohburg" den Preis der Leipziger Buchmesse bekam (eine Rezension kann man in der FAZ lesen). Wobei man eigentlich kaum von Wiederentdeckung sprechen kann, denn seit seinem ersten Gedichtbändchen "Fahrplan" verging kaum ein Jahr, in dem er nicht Erzählungen, Gedichte oder Hörspiele veröffentlicht hätte.

Foto: Stefan Flöper / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Alles, was Guntram Vesper "aus Erfahrung, historischer wie eigener, in Sprache verwandelt hat, folgt einer Ästhetik der überdeutlichen Wahrnehmung und der klaren Benennung", schreibt die Süddeutsche in seinem Nachruf.